Die ikonischen Dreiecke des Gerhard Lojen (1986)
Text von Werner Fenz
Die Kunst, namentlich die des 20. Jahrhunderts, hat uns gelehrt, den geometrischen Formen über ihre Signal- und Leitfunktion hinaus Beachtung zu schenken. Seit den Werkbeispielen der Mondrian, Doesburg, EI Lissitzky, Itten, Albers, Lohse, Bill ist unsere Aufnahmebereitschaft für die Flächenordnung mittels konkreter Elemente in einer neuen Dimension vorhanden. Die mehr oder weniger strengen Systeme, die sich der traditionellen lkonografie verweigern, reicherten Quantität und Qualität der bildenden Kunst erheblich an. In der direkten Gliederung der Fläche, in der folgerichtigen Beschränkung auf Grundfarben oder in der Entwicklung von Farbsystemen fand jene Objektivierung Eingang in die Bildkünste, die den subjektiven und emotionalen „inneren Notwendigkeiten" gegenübergestellt wurde. Form und Farbe schienen gereinigt, die Künstler hatten ihre Antwort auf die Dominanz des Epischen oder Gestischen formuliert. Freilich war da auch die Ebene einer neuen „Schule des Sehens" mit im Spiel, die gerade durch den Purismus die Sensibilisierung des Betrachters zum Ziel hatte. Erlebnisbereiche wie das Erkennen von Ruhe und Harmonie, das Abtasten von Farbreihen, das Ergänzen und Erweitern auch, oder gerade erst, im Auge des Betrachters stellten kalkulierte und kalkulierbare Größen dar. Ehe sich in den sechziger Jahren eine neue Generation der konkreten Malerei verschrieb, setzten Hard edge oder Robert Indiana, aus den Reihen der Pop-Künstler, weitere Akzente im Gebrauch der Kreis-, Rechteck- oder Dreieckform. Für Indiana war die Lesbarkeit seiner Zahlen und trivialen Begriffe nur eine Seite der Medaille. Die kantigen Negativformen seiner Buchstaben standen als autonome visuelle Erlebniskriterien gleichermaßen zur Diskussion.
Ohne ihre Intentionen im einzelnen auf einen gemeinsamen Nenner bringen zu wollen, widmete sich in der Steiermark Gerhard Lojen lange Jahre (zwischen Ende 1960 und Ende 1970) gemeinsam mit Jorrit Tornquist und Hans Florey der konkreten Kunst, oder genauer der Beschäftigung mit den strengen Farb- und Flächengestalten. Verspannungen und dynamische Ordnungen, allerdings mehr erfühlt als systemabhängig, bildeten sein schier unerschöpfliches Vokabular. Fläche und Raum, Schweben und Tektonik lotete er in überraschend differenzierten Bildern aus. Der informel-gestische Ansatz der späten fünfziger und frühen sechziger Jahre schien unwiderruflich überlagert worden zu sein. Heute führt uns Lojen vor Augen, dass sich sein Verhältnis zu Farbe, Struktur und Pinselschrift grundlegend geändert hat. Und damit auch der Bedeutungsgehalt seiner Zeichen. Schritt für Schritt setzte er den exakt ausgegrenzten Flächenformen zunächst „atmende" Pinselstriche gegenüber. Daraufhin das mehrschichtige Weiß: der Grund hatte seine Neutralität eingebüßt, seine Passivität verloren. Allein seine malerische Aktivierung ließ ihn als stabile Negativform unbrauchbar werden. Im Sog der subjektiven Verlebendigung der Malfläche verflüchtigte sich die Signalwirkung der Formen. Besonders eindrucksvoll lässt sich dies am Dreieck verfolgen. Namentlich in seiner gleichseitigen Gestalt (abgesehen vom religiösen Gehalt) absolutes Symbol für das Gleichmaß, wird es nun zu einem ikonischen Element. Das heißt, dass es sowohl sinnliche Eigenqualität als auch Verweischarakter entfaltet. Aus mehreren Farbschichten entwickelt und frei geformt, zeigt es die Merkmale einer eigengesetzlichen Bildfigur und nabelt sich von der konkreten Formfamilie entschieden ab. Es markiert zwar noch in mehrfachen Varianten den Bildrand, dies ist aber nur die eine seiner Bedeutungen. Nicht zufällig tritt es im Buch Daniel (Der Gesang der drei Jünglinge im Feuerofen), einer Arbeit aus dem Jahr 1983, erstmals als Vogelsymbol auf. Hier verweist es bereits über sich hinaus, ohne aber im konkreten Fall wie in den zahlreichen weiteren Beispielen eindimensional kanalisiert zu sein. Lojen setzt dem Dreieck als Metapher so gut wie keine Grenzen. Zum einen durch immer neue Formbildungen und Deformationen, zum anderen durch farbige Überlagerungen und Anreicherungen. Fläche, Volumen und Raum werden nicht als Bedeutungs- und Illusionsmechanismen entwickelt, sondern aus einer stringenten malerischen Gesetzlichkeit. Diese Vorgangsweise schafft die Voraussetzungen für die Bildung von intensiven Substanzen, aus deren Basis die Vielschichtigkeit des bevorzugten ikonischen Bildzeichens zum Tragen kommt. Richtungsabläufe ebenso wie tektonisches Verharren, Schweben wie Ausmessen und Verankern. Ei Lissitzky transportierte im Aufeinanderprallen von Dreieck und Kreis realitätsbezogene Inhalte, seine formale Durchdringung war der Versuch, in einem hermetischen ästhetischen System Wirkungen vorzuführen. Dagegen setzt Lojen das Unbestimmte, im Aufragen, im Berühren, im Auseinanderdrängen, im Verformen und im Konzentrieren. Mögen der Vogel, das Kanu, die Krone, die Landschaft einen Bezugsraster in einer bestimmten Lesart der Bilder bieten, konkretisieren lässt sich jeweils soviel, wie wir selbst aus dem Umgang mit der Dreiecksform herauszulesen vermögen; wie wir auf das Setzen von malerischen Kürzeln einerseits und deren üppig ausgebreitete Materialqualität andererseits reagieren. Das Aufwölben und Einknicken, das Pfeilschnelle und Behäbige, die Beseelung objektiver Muster, die Transfiguration des Signals zur Ikone haben ihren Ursprung im lebendigen Ansatz der „reinen" Malerei, in erster Linie dort und erst in zweiter im inhaltlichen Nachvollzug. Die Richtung, die uns Lojen bis zu einem bestimmten Punkt weist, ist deutlich, aber nicht eindeutig. Zu sehr ist er selbst im malerischen Prozess verstrickt, um nicht den Gegenstandsbezug vordergründig klarzulegen. Zu lange schon filtert er aus seiner intensiven Erlebniswelt die Essenzen aus, um nicht einzelne Bestandteile für das Ganze auszugeben. Zu leidenschaftlich ist er Maler, um nicht den grundsätzlichen Schritt in die Abstraktion als wesentliches Moment seiner Profession zu erkennen.
Lojens Bilder der vergangenen zwanzig Monate ziehen letztlich nicht nur eine Spur zurück in seine erste informelle Phase, sondern auch in seine zweite konkrete. Zu jener im neu ausgelebten Farb- und Pinselduktus, zu dieser im sicheren Verstreben und Verankern von Formen in der Bildfläche. Mit seinen ikonischen Dreiecken reichert er nach einem kurzen Atemholen das malerische Potential der Gegenwart um kompakte, originelle Bildlösungen an. Sie haben ihren Ursprung in seiner eigenen malerischen Tradition und kommen ohne die verbindlichen Chiffren des „Zeitgeistes" aus.
Erstabdruck in: Gerhard Lojen. Raumzeichen. Bilder 1984-85 (Kat.), Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, Graz 1986, o.S.