Raumzeichen. Gerhard Lojens Bilder erschauter Landschaften (1986)
Text von Wilfried Skreiner
Nach einer fast dreijährigen Phase, in der Gerhard Lojen nicht malte, sondern grafisch arbeitete, schuf er in einer knapp zweijährigen erneuten Zuwendung zur Malerei die Bilder dieser Ausstellung. In der ersten Begegnung mit diesen Werken erscheinen sie einheitlich in der überwiegenden Verwendung eines weißen Bildraums, der Einbringung von sparsamen, meist dreieckigen Formen, einem schwebenden Charakter und einer strahlenden Helligkeit.
Zum besseren Verständnis dieser Werke ist ein Zurückgreifen auf die Biografie des Künstlers notwendig. Lojen ist seiner Ausbildung nach Architekt, er ist einer der gar nicht so wenigen Studenten, denen Kurt Weber, der an der Architektur-Fakultät der Grazer Technischen Hochschule Zeichnen und Malen unterrichtete, den Einstieg in die Malerei ermöglichte. In Kurt Weber fand Lojen einen Anreger und Ermunterer zu eigenem Gestalten mit einer Blickrichtung auf die internationale Avantgarde dieser Zeit. Und mehr noch, denn Kurt Weber machte ihm durch sein Beispiel deutlich, dass es die Aufgabe des Künstlers sei, nicht bei einmal gefundenen Lösungen zu verharren, sondern, eben so nach innen und um sich schauend und der Welt der Erscheinungen geöffnet, auch als Künstler einen prozessualen Weg zu gehen.
Seit seiner Begegnung mit Weber ist Lojen Maler. Immer stärker hat dies sein Leben geprägt, ist er auch im Alltag vom Architekten zum bildenden Künstler geworden. Jedes Studium prägt, öffnet dem Studierenden Perspektiven, ein Problembewusstsein, vermittelt ihm Sehweisen. Die freien zeichnerischen und malerischen Arbeiten von Architekten (wenn wir von der Entwurfsfingerfertigkeit als Bereich absehen) können in groben Umrissen in zwei große Gruppen eingeteilt werden, wenn wir ideologische Identifikationen mit stilistischen Ausformungen außer Acht lassen. In der einen Gruppe prägt die Formenwelt der Architektur die Gerade, die Rasterung, das blockhafte Volumen, eine der Geometrie verpflichtete Abstraktheit, die Bildwelt. Das bildnerische Denken ist Ausfluss architektonischer Entwurfsarbeit, die von architektonischer Vergegenständlichung befreit erscheint. In der zweiten Gruppe haben wir es mit Gegenbildern zur strengen Formwelt der Architektur zu tun. Die Abwendung von der Architektur führt zur Verinnerlichung, zu einem freien Ansatz der Phantasie, die sich als stimmungs- und gefühlsbetonte malerische Sensibilisierung niederschlägt.
In diesem Bereich konkretisieren sich die Seherfahrungen aus der Umwelt sehr oft nicht gegenständlich, werden Abstraktionen belassen, auch dann, wenn die Natur thematisiert wird. Die Natur wird gesteigert, gereinigt, im kleinen Ausschnitt oder in kosmischer Perspektive gegeben, und fast immer ist der Raum abstrakt als Problem thematisiert oder mitthematisiert.
Der Maler Lojen ist in keinen der beiden Bereiche einzuordnen. Qualität und Dynamik der Farbe triumphieren trotz des konstruktiven Erscheinungsbildes über die Geometrie und anstelle von abstrakten Phantasien und Gefühlen gestaltet er aus einem steten lebendigen Kontakt mit der Natur. Landschaften, Physiognomien, Vögel, Prozesse des Schwebens und der Verfestigung verdichten sich in seinen Bildern zu Zeichen. Aber sie sind weit entfernt von tektonischer Körperbehandlung oder gefühlsmäßig bestimmten malerischen Abstraktionen beheimatet. Ihre Heimat ist die Natur, die sich im Auge des Künstlers zeichenhaft formuliert. So ist Lojen ein genuiner Maler, dem seine Architektenausbildung eine spezifische Ausbildung des Sehens vielleicht mitbestimmt hat, aber nicht bestimmt.
Lojen malt seit 1955/56. In diesen dreißig Jahren hat er sich vom Tachismus zum konstruktiven Künstler entwickelt, hat seine Bilder in Farbordnungen gegliedert, jene Farbordnungen haben die Zentren oder Ränder des Bildes besetzt, sind statisch, bildbeherrschend oder als Prozesse der Bewegung diagonal eingesetzt worden. Die Magie der Schrift und die in ihr enthaltenen Botschaften hat er seinen Grafiken integriert, sie mit meditativen Farbformen konfrontiert und einzelne Bücher der Bibel zum Thema genommen.
In seinem Schaffen sehen wir Ende der 60er Jahre, Ende der 70er Jahre und in den beiden letzten Jahren eine Dominanz der Farbe Weiß in seinen Werken. Weiß ist die Summe der Farben, ist Licht, wie wir wissen. Und dieses dynamisch vibrierende Licht nimmt Lojen gefangen, immer wieder verstärkt sich seine Auseinandersetzung mit diesem Phänomen. Allein diese Tatsache unterstreicht die prozedurale Offenheit seiner Arbeitsweise.
Lojen arbeitet nicht nach einem Programm, vollzieht nicht eine vorgeplante Entwicklung, stellt sich keine vordergründigen Aufgaben, Lojen öffnet sich dem eigenen Inneren, lässt die Bilder aus seinem Unbewussten aufsteigen, entwickelt sie im Dialog mit den auf dem Malgrund entstehenden Konfigurationen und Farbformen. Dies trifft auch auf seine konstruktiven Gestaltungen zu, die nicht aus additiven oder progressiven Reihungen bestehen, sondern aus der durch Stimmungen getragenen Innerlichkeit projiziert werden. Formmotive oder Farbklänge tauchen in seinen Werken auf, werden zyklisch bearbeitet, werden von anderen Problemkreisen zurückgedrängt und kehren nach Jahren wieder in das Zentrum des Interesses zurück. Im schöpferischen Prozess, der ihm nicht geradlinig verläuft, sondern ein Suchen, ein Abtasten, ein in verschiedene Richtungen Ausformen ist, offenbaren sich Möglichkeiten, Formprobleme, die als Seitenlinien oder Sackgassen einer sich abzeichnenden Entwicklung aufgefasst werden, aber Ankündigungen künftiger Formprozesse sind oder auch das unvermutete Wiederauftauchen unbewusst weiterentwickelter formaler Lösungen der Vergangenheit darstellen. Für die Verwendung der Farbe Weiß haben wir bereits darauf hingewiesen. Dass dies auch auf formale Ausbildungen zutrifft, werden die Vogelformen in dieser Bildserie zeigen, die im Anschluss an Werke am Beginn der 60er Jahre gesehen werden können.
Ist Gerhard Lojen ein Architekten-Maler? Dieser Frage soll hier nicht ausgewichen werden. Zu ihrer Beantwortung ist folgendes anzuführen: Lojen hat es immer vermieden, im konstruktiven Bereich einen direkten Entwicklungsstrang aus der entwerfenden Welt des Architekten in die Malerei überzuführen. Seine Ordnungen gehorchen weder architektonischen Gesetzmäßigkeiten, noch unterwerfen sie sich dem Kalkül konstruktiver Raster. Die emotionale Sprache der Farbe dominiert. Und im malerisch belebten Bereich ist es notwendig, zuerst festzustellen, dass Lojen sich nicht direkt abbildend mit den Formen der Natur auseinandersetzt. Er blickt in die Natur nicht um sie abzuzeichnen, nachzubilden, sie zu kopieren, ihre Gegenständlichkeit auf die Leinwand zu bringen. Ihre farbige Erscheinung in oft strahlender Helligkeit, ihre Zeichenhaftigkeit als Farbform, und eben nicht als zu bezeichnendes Detail der Wirklichkeit, nehmen sein visuelles Interesse gefangen. Zur Verdeutlichung muss gesagt werden, dass die Bilder, nicht nur dieser Ausstellung, keineswegs ungegenständlich sind. Sie gehen auf Erlebnisse der Landschaft oder Natur im Sinne der Umwelt zurück, sie können Landschaftsausschnitte, formale Äquivalente, Physiognomien, fliegende Vögel und auch nur Spuren des Vegetabilen sein. Nicht das Bekannte in gewohnten Formen wiederzugeben ist sein Ziel, nicht die Teilhabe am objektivierenden Bild der Wirklichkeit, sondern das Erschauen von visuellen Formen und Erscheinungen, die sich ihm in mehrfacher Sicht zeichenhaft darstellen.
Versuchen wir, die vorangestellten Behauptungen mit Lojens Bildern in Verbindung zu setzen, einen Einklang interpretativ herzustellen.
Zur Erhellung des nichtlinearen Arbeitsprozesses folgen wir der Chronologie. Mit grünen Spuren ist ein Bild, aus dessen milchigweißem Grund rote und blaue Farbformen ragen, die zum Teil von grünen Farbspuren begleitet werden. Wie rudimentär aus dem Nebel heraustretende Gegenstandsformen erscheinen sie uns, in ihrer Dinghaftigkeit nicht festlegbar, in ihrer diagonalen in sich umbrechenden Gerichtetheit, in ihrer Körperhaftigkeit, da nur ein flächiger Aspekt realisiert erscheint, entsteht der Charakter der fluktuierenden Bewegung. Die Formen gestalten Raum, aber nicht im Sinne einer Perspektive, die in die Tiefe führt. Das Licht fällt auf diese Gegenständlichkeit und saugt deren Farbigkeit in sich auf, oder das leuchtende Weiß liegt wie ein Nebel über der Landschaft, die sich nur in ihren höchsten Erhebungen unserem Blick stellt. Und hier wird eine doppelte Lesbarkeit deutlich, denn nun stellt sich die Frage, ob nicht das Nebelweiß das eigentlich Bewegte und Bewegende im Bild ist und die farbigen Raumzeichen das Feste und Statische sind.
Haiku 2 zeigt eine doppelt veränderte Position. Der Titel stellt die Verbindung zur poetischen Kunstform Japans her, die Seherlebnisse in der Landschaft in knappen Wortzusammenhängen wiedergeben. Lojens Formen in diesem Bild sind vegetabiler, sind pflanzlich-blütenhaft, bewegungsintensiv und möglicherweise tritt hier bereits einer der im Fliegen befindlichen Vögel links im Bild auf.
Deutlich wird die Ruhe, ja Stille des Seins anschaulich, das Sichausformen in der Natur. Das Poetische in seiner scheuen Zurückhaltung Lojenscher Prägung zeigt das Weiße Feld, in dem sich die zarten Formen zum Rand hin drängen.
Im Hommage-Bild ziehen sich die Formen zusammen, sie werden vom Zeichen hin zu einem motivischen Zusammenhang verdichtet. Im Vergleich mit dem Vogelbild und Landschaft mit Vogel können wir die sich vergegenständlichende Entwicklung genauer erkennen. Nicht das Abbild des Vogels, sondern die Wiedergabe des Vogelflugs als Bewegungsablauf im Gefieder ist das Motiv. Zeigt das Hommage-Bild noch ein additives Mehrfachbild des trägen menschlichen Auges, das dem Flügelschlag nicht ganz folgen kann und das erst langsam eine identifizierende Ordnung erschaut in den unregelmäßigen Formen und in der einen bereits symmetrischen Form, so verdichten sich diese Bilder in der Folge. Das Symmetrische der Flügel wird zum Motiv, das Hauptmotiv aber ist ein farbenprächtiges und durchscheinendes Bild des bewegten gefiederten Vogels in einer aus dem Futurismus entwickelten verräumlichten Bewegungsdarstellung ohne direkte Vergegenständlichung.
Erst in der Landschaft mit Vogel wird über der Symmetriedarstellung des Vogels die bewegte Gefiederdarstellung zur noch immer sehr abstrakt gehaltenen Wiedergabe des Vogelkörpers in Form eines blauen Winkels vergegenständlicht: Körper und Flügel werden unterscheidbar angegeben.
In der Folge emanzipieren sich diese Winkelformen zu Dreiecken, die im Licht des Weiß schweben oder aufkragen, rot, blau, grün, gelb oft von einer Gegenfarbe umrandet stehen sie im Bild. Vier Dreiecke wird so zum Bild einer räumlichen lichten Tiefe, aus der uns diese vier Farbformen vorüberschwebend erscheinen. Zwischen ihnen artikulieren sich aus umschreibenden Farbflächen weitere mögliche Dreiecksformen, wenn diese nicht wie optische Rückstände bereits wieder verschwundener Dreiecksformen aufgefasst sind. Mächtig aufkragend erscheint ein schwarzes Dreieck in Nachteck, das sich über rote, gleichsam vegetabile Formen erhebt, und trotz des weißen Bildgrundes, der ja das strahlende Licht verbildlicht, durchaus imstande ist, uns das verbergende Dunkel der Nacht zu veranschaulichen.
Dreiecksabfolgen zeigt uns Lojen auch im Großen Bogen, die aus dem Weiß des Lichts sich zögernd in ihrer wechselnden Farbigkeit materialisieren und wieder auflösen in ein Weiß. Die etappenweise Darstellung der Bewegung im additiven Sinn des Futurismus, der Sequenzfotografie, in der logischen Wiedergabe von Abläufen tritt als deutlicheres Thema auf.
Dramatischer verfährt Lojen in der Landschaft. Die Formerinnerungen nehmen die Gestalten von ineinandergeschobenen Dreiecken an, die in Licht und Schatten gesehen werden und dadurch körperhafter und räumlich werden. Das Dramatische erleben wir aus der wie gestisch hingesetzten Form, aus der pastosen expressiven verdunkelten Farbe. Ist es eine Berglehne oder ein Taleinschnitt? Näher als zum Begriff Landschaftsformation können wir uns im Bild sehend nicht vortasten. Aber diese wird in ihrer Geschichtetheit und vegetabilen Belebtheit trotz der farbigen Beschränkung auf ein leuchtend warmes Rot und dessen Verschattung durch Schwarz deutlich. Das Schwebende, Leichte der Kleinen Parade mit den beiden parallelisierten Dreiecksformen findet in der Landschaft mit dem Vogel eine formale Ähnlichkeit. Ist die ausschwingend dreistrahlige Form gleichbedeutend mit dem blauen Vogelleib, haben wir auch hier die Darstellung eines Vogels vor uns, nun vereinheitlicht und vereinfacht zu einer schwebenden Form, die segelgleich an uns vorbeizieht?
Die Verschränkung der Formen verfestigt sich in der Mauer, dessen Rot und Schwarz an Substantialität und Festigkeit gemahnen, wie sie sich im unteren Teil des Bildes räumlich artikulieren und in der obersten Bildschicht grafische Zeichen tragen. Der Bildort ist vertauscht, nicht mehr der lichte Raum des Himmels, sondern das Licht, das auf die Mauer fällt, ist thematisiert.
Dem Organischen angenähert sind die in sich differenzierten Dreiecksformen im Bild mit Gelb, körperhaft elastisch scheinen sie sich zu verspannen, stoßen sie in den Raum, in den atmosphärisch das Blau eindringt.
Kostbarer wird die Farbe in der Zerbrochenen Krone gehandhabt, weil hier einzelne autonome Farbbereiche nicht gegeneinandergestellt sind, sondern in sich nuanciert und abgemischt gegenseitig Farben von anderen aufnehmen. Helligkeiten gleich einem Glanz treten in diesen Dreiecksformen auf, und dieser Schimmer gemahnt an den des Metalls, ohne dieses abbildend nachzuahmen.
Das Kanu für Laune A. mit seiner gegenständlichen Formerinnerung instrumentiert die Licht- und Schattenwirkung in einem volltönend warmen Rotbereich und gibt dem Bild damit eine in einem Moment erfasste starke Bewegtheit. Diese wird gerichtet in einer in die Bildtiefe geführten Dreiecksform in eindrucksvoller Geschlossenheit im Bild für Erika, in dem kaum verschatteten Rot gezeigt. Ganz atmosphärisch trägt diese Form offensichtlich eine weitere Dreiecksform, ein Motiv, das wir schon öfter in Lojens Bilder sahen. Haben wir darin eine Bildstruktur zu sehen und verbirgt sich darin zugleich auch ein inhaltliches Motiv? Lojen verweigert uns die Literatur, das Anekdotische und bietet uns dafür das Feld einer meditativen Poesie. Sie ist einmal entschlossener, dann bewegter, trägt das Dramatische in sich, differenziert sich wie in Fars innerhalb einer einzelnen Großform. Die Botschaft der Bilder Gerhard Lojens stammt aus einer Welterfahrung, aus einem visuellen Erleben, das konzentrierend und selektierend die Zeichen im Draußen sieht, im Einklang mit dem Inneren setzt, Raumzeichen, Formzeichen, Landschafts- und Vogelzeichen, wie wir gesehen haben. In einer starken und reinen Farbigkeit erstrahlen sie in der Fülle des Lichts, das auch Schatten wirft, vibrieren sie voll Belebtheit und voll Poesie.
Erstabdruck in: Raumzeichen. Bilder 1984-85 (Kat.), Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum, Graz 1986, o.S.